Mittwoch, 23. Juli 2008

Das Kräftemessen

 

Jeden Morgen das gleiche Spiel. Schon in der S-Bahn geht es los. Kurz vor dem Eintreffen im Bahnhof sind die besten Plätze an der Tür vergeben, verbunden mit der Hoffnung, dass genau dieser Wagen so dicht wie nur möglich an der Treppe zum Ausgang des Bahnhofs anhält. Es wird sich unauffällig und abschätzend beobachtet. Sobald der Zug steht, geht er los, der Wettkampf um die Eroberung der ersten Stufen bis nach ganz oben. Somit auch der Einzug in die ungeschriebenen Siegeslisten.

Für viele ist es ein Rennen auf Zeit. Der Anschlusszug wartet nicht oder man ist eh zu spät dran. Für andere aber ist es ein Sport.

Ja, ich gebe zu: Auch ich bin das ein oder andere Mal dabei. Schließlich bedeutet langsam sein warten oder stillstehen im Gedränge der Zurückgebliebenen. Und da ich nur sehr ungern warte, mache ich eben mit beim morgendlichen Ellbogen-Spiel.

Solche Vergleiche finden bei vielen Christen allerdings noch auf einer ganz anderen Ebene statt. Gnadenlos wird das Verhalten von anderen beurteilt und bewertet:

Eine Frau trägt kurze Röcke und tiefe Ausschnitte. Sie kann also keine gute Christin sein.
Die Jugendlichen aus der Gemeinde hängen ständig in der Disco rum. Das dürfen Christen einfach nicht.

Nicht nur das Äußere oder Verhaltensweisen werden unter die Lupe genommen. Schließlich kann es nur einen Grund geben, wenn Menschen zweifeln oder unsicher sind: Sie glauben nicht genug.

All das geschieht mit dem einen Gedanken: „Wie gut, dass ich da ganz anders bin. Ich halte mich an das, was in der Bibel steht, trinke keinen Alkohol, höre nur Kirchenmusik und Glaubenszweifel habe ich nie.“

Nie?

„Was müssen das für Menschen sein, die hochmütig und überheblich auf andere herabsehen.“ Sprüche 30,13

Eine berechtigte Frage. Doch die Antwort ist einfach. Es sind Menschen wie du und ich. Fehlerhafte Menschen. Es ist halt einfacher, den Splitter im Auge des Anderen zu suchen statt den Balken vor dem eigenen Auge zu entfernen. Diese Bibelstelle kennt jeder „gute“ Christ. Nur gerät er leicht in Vergessenheit, denn der Spaß daran, besser sein zu können als andere, ist zu verlockend.

Vielleicht sollten genau diese Menschen dann auch öfter in den Sprüchen lesen oder aufhören, nur das zu sehen, was sie zwischen den Zeilen lesen. Denn Gott allein ist es, der sich ein Urteil über Glauben und Unglauben eines Menschen machen kann. Er allein weiß, was in mir drin passiert.

Nicht umsonst steht in Sprüche 30,23 „Wenn du meinst, du seist besser als andere, ob zu Recht oder zu Unrecht, dann halte den Mund und schweige lieber.“

Ja, ich denke, auch ich kann mir diesen Spruch das ein oder andere Mal ins Gedächtnis rufen. Ist es doch an mir, meinen Nächsten zu lieben und nicht zu verurteilen. Da gilt mir das, was der Vers danach als Warnung schreibt:

„Denn wenn man Milch schlägt, gibt es Butter, schlägt man die Nase, kommt Blut heraus, reizt man den Zorn, dann gibt es Streit.“

Kommentare: 0